August Wilhelm Schlegel        Das Sonett

1767 -  1845

Zwei Reime heiß ich viermal kehren wieder,
Und stelle sie, geteilt, in gleiche Reihen,
Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien
Im Doppelchore schweben auf und nieder.

 

Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder
Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.

 

Den wird ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.

 

Doch, wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih ich Hoheit, Füll in engen Grenzen,
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Goethe

1767 -  1845

Bewundert nur die feingeschnitzten Götzen,

Und laßt als Meister, Führer, Freund uns Goethen:

Euch wird nach seines Geistes Morgenröten

Apollos goldner Tag nicht mit ergötzen.

 

Der lockt kein frisches Grün aus dürren Klötzen,

Man haut sie um, wo Feurung ist vonnöten.

Einst wird die Nachwelt all die Unpoeten

Korrekt versteinert sehn zu ganzen Flözen.

 

Die Goethen nicht erkennen, sind nur Goten,

Die Blöden blendet jede neue Blüte,

Und, Tote selbst, begraben sie die Toten.

 

Uns sandte, Goethe, dich der Götter Güte,

Befreundet mit der Welt durch solchen Boten,

Göttlich von Namen, Blick, Gestalt, Gemüte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Bürgers Schatten

1767 -  1845

Mein erster Meister in der Kunst der Lieder,

Der über mich, als meiner Jugend Morgen

Noch meinen Namen schüchtern hielt verborgen,

Der Weihung Wort sprach, väterlich und bieder!

 

Den deutschen Volksgesang erschufst du wieder,

Und durftest nicht gelehrte Weisen borgen;

Doch Müh, verworrne Leidenschaften, Sorgen,

Sie drückten früh dein krankend Leben nieder.

 

Zürnst du, daß ich zu männlich strenger Sichtung

Des reinen Golds von minder edlen Erzen

An deines Geists Gepräge mich entschlossen?

 

In dumpfen Tagen schien der Quell der Dichtung

Dir schon versiegt; er hat sich neu ergossen,

Doch tragen wir dein wackres tun im Herzen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Totenopfer

1767 -  1845

 

II.  Auf der Reise

 

Von ferne kommt zu mir die trübe Kunde.

Es trennt mich ein Gebirg mit Wald und Klüften,

Blau dämmernd in des Horizontes Düften,

Von dort, wo ich erlitt die Todeswunde.

 

Da macht’ ich auf die Wandrung mich zur Stunde:

Wo Bäche stürzend rauschen in den Schlüften,

Wo Felsen sich gewölbt zu dunklen Grüften,

Da ist der Pfad mit meinem Sinn im Bunde.

 

Hier reiste jüngst hindurch, die ich betraure,

Nicht achtend auf des schroffen Wegs Beschwerde;

Zur heitern Landschaft südlich hingezogen.

 

Mai war’s, nun heiß es Sommer, und ich schaure

Von kaltem Sturm; ihr ward zum Grab die Erde:

Der Lenz hat allen, Jugend ihr gelogen.

 

 

III.  Gesundbrunnen

 

Der Himmel lacht, es wehen warme Lüfte,

Die Gauen blüh’n ringsum mit Wein und Korne.

Hier schirmen Hügel vor des Nordwinds Zorne

Ein kleines Tal voll frischer Wiesendüfte.

 

Und es ergießt der Schoß der kühlen Klüfte

Heilsamen Trank in ewig regem Borne.

Da fällt mich die unheimliche, verworrne

Vorahndung an: hier sind auch Totengrüfte.

 

Kannst du dich so, Natur, mit Mord besudeln?

Wie, oder war dir jede Kraft und Tugend

Vom unerbittlichsten Gestirn gebunden?

 

Ja, hier, wo selbst die Quellen Leben sprudeln,

Hat, in der Rosenfülle froher Jugend,

Mein süßes Leben seinen Tod gefunden.

 

 

IV.  Der erste Besuch am Grabe

 

Schon Wochen sind es, seit sie hier versenket

Den süßen Leib, von aller Huld umflossen,

Der das geliebte Wesen eingeschlossen,

Zu dem umsonst mein Sehnen nun sich lenket.

 

Welk ist der Kranz, dem Grabe frisch geschenket,

Und nicht ein Halm dem Hügel noch entsprossen;

Die Sonne zielt mit glühenden Geschossen,

Noch Tau noch Regen hat den Staub getränket.

 

Auch werd’ ich dazu nicht des Himmels brauchen.

Kehr’ dich nur weg, fühlloses Weltenauge!

Ihr Wolken mögt euch anderswo ergießen.

 

Nur meine Tränen, heil’ger Boden, sauge!

Bei warmem Liebesblick und kühlem Hauchen

Der Seufzer sollen Wunderblumen sprießen.

 

 

V.  Geliebte Spuren

 

Dich sollt’ ich hassen, und ich muß dich lieben,

Ort! der mein Kleinod geizig wollte haben,

Nicht um sich sein zu freun, es zu vergraben;

Selbst reicher nicht, indes ich arm geblieben.

 

Hier sind noch ihre Spuren eingeschrieben:

Auf diesen Wiesen saß sie; Schatten gaben

Ihr Busch und Baum, und Früchte, sie zu laben;

Die Blumenlust ließ Au und Feld sie üben.

 

Hier sang sie noch dem Echo muntre Lieder;

Jungfräulich wandelnd im Cyanenkranze

Ließ sie das goldne Haar anmutig flattern.

 

Bald aber sank sie, ach! entseelt danieder,

Wie den Gespielen weggerafft im Tanze

Eurydice vom Stiche falscher Nattern.

 

 

VI.  Das Schwanenlied

 

Oft, wenn sich ihre reine Stimm erschwungen,

Schüchtern und kühn, und Saiten drein gerauschet,

Hab’ ich das unbewußte Herz belauschet,

Das aus der Brust melodisch vorgedrungen.

 

Vom Becher, den die Wellen eingeschlungen,

Als aus dem Pfand, das Lieb und Treu getauschet,

Der alte König sterbend sich berauschet,

Das war das letzte Lied, so sie gesungen.

 

Wohl ziemt sich’s, daß der lebensmüde Zecher,

Wenn dunkle Fluten still sein Ufer küssen,

In ihren Schoß dahingibt all sein Sehnen.

 

Mir ward aus liebevoller Hand gerissen,

Schlank, golden, füßgefüllt, bekränzt, der Becher;

Und mir zu Füßen braust ein Meer von Tränen.

 

 

 

VII. Die himmlische Mutter

 

Der Himmel, sagt man, kann Gewalt erleiden.

O drängen meiner Blicke Liebespfeile

Die Wolken durch, daß ich an deinem Heile,

Geliebtes Kind, mein Herz doch möchte weiden!

 

Du mußtest von der treuen Mutter scheiden:

Ward eine Mutter droben dir zuteile?

Wer sagt dir Tröstung, die dein Mitleid heile,

Wenn du so fern herabschaust auf uns beiden?

 

Ein heil’ges Wort hat Botschaft ja gesendet,

Dort walt’ ein weiblich Bild der Muttertriebe,

Das Herz der Welt, in ewigem Umarmen.

 

O, wenn von ernster Glorie Strahl geblendet,

Die zarte Seele flieht zum Schoß der Liebe:

Birg du, Maria, sie in deinen Armen!

 

 

 

 

IX. An denselben (Novalis)

 

Du Teurer, dem ich dieses Lied gesendet,

Muß ich dich selbst schon suchen bei den Toten?

Zur Totenfeier hab ich dich entboten:

Nun werd’ ein Totenopfer dir gespendet.

 

Wer sich zu ferner Lieben Heimat wendet,

Dem wird gar mancher zarte Gruß geboten;

So find’ in dir mein Sehnen einen Boten,

Wenn je mein Herz dir liebend sich verpfändet.

 

Sag ihr: - doch in der Sprache jener Sphären

Verstummt der Laut des Schmerzes, den ich meine,

Und diese Trauer läßt sich dort nicht nennen.

 

O könntest du den Perlenschmuck der Zähren

Ihr bringen, die ich ihr und dir nun weine!

Für wen sie fließen, weiß ich nicht zu trennen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Auf die Arme der Geliebten

1767 -  1845

Wie reiche Schöne ward euch schönen Armen!

Nur müßt ihr euch mit anmutsvollem Regen

Nicht bloß zur Rede, selbst beredt, bewegen:

Die Arme sind gemacht, um zu umarmen.

 

Verbannt aus eurem Reich, muß ich verarmen;

Doch wollt ihr mich in enge Bande legen,

So löst ihr mich: wer könnte Harm wohl hegen,

Gehegt in Armen, die von Lieb erwarmen?

 

So zart geründet von den Schultern nieder

Ihr Grübchen spielet an den Ellenbogen,

Dann, lind geschweift, euch zu der Hand verenget,

 

Seid ihr doch mächtig wie des Atlas Glieder:

Ihn hat des Himmels Bürde tief gebogen,

Den ihr so leicht in eure Mitte dränget

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Calderon

1767 -  1845

In deiner Dichtung Labyrinth versunken,

Wo in des ewgen Frühlings Jugendflore

Die Schönheit wird, die Lieb Aurore,

Und alle Blumen lichte Sternenfunken:

 

O Calderon, du hier schon Gottheit-trunken

Herold der Wonne, Cherub nun im Chore!

Sei dir mein Gruß gesandt zum selgen Ohre,

Und hohes Heil und Glorie zugetrunken.

 

Doch welcher Trank mag dazu würdig dienen,

Von allem, was umarmt von brünstgen Sonnen,

Aus Trauben ihres Busens träuft die Erde?

 

Nur jene Reb, entsproßt am Flammenbronnen

Vesuvs, daß sie in fließenden Rubinen

Lacrima Christi, frommer Nektar, werde.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Jo von Correggio

1767 -  1845

Verhüllend will sich Nebel um sie legen,

Doch bleibt vom Nacken nieder zu den Sohlen

Der zarte Bau der Glieder unverhohlen,

Und schönres noch errät der Blick verwegen.

 

Entzücken scheint sich durch sie hin zu regen,

Und, vor Entzücken, tiefes Atemholen.

Und, seh ich recht? es kommt ein Mund verstohlen

Dem Rosenantlitz aus dem Duft entgegen.

 

Dein Los, Ixion, hat sich hier verkehret:

Du wolltest kühn der Göttin Leib umfangen

Und eine Wolke blieb in deinen Armen.

 

Doch Jos Reiz hat andern Trug gelehret,

Daß eine Wolk in liebendem Verlangen,

Und in der Wolk ein Gott sie muß umarmen.

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die italienischen Dichter

1767 -  1845

 

 

I. Dante

 

Wes ist das Lied, das mit geweihten Zungen

Des Weltalls Höhn und Tiefen ernst verkündet;

Erst langsam durch des Abgrunds Nacht sich windet,

Der Prüfung Gipfel kühner schon errungen;

 

Dann, neu gekräftigt, himmelan gedrungen,

Daß Religion und Poesie verbündet

Noch nie so Cherubinen-gleich entzündet

Sich mit den Sphären schwungen und erklungen?

 

Zugleich der Tempel und des Baues Meister,

Schuf dieß lebend’ge Grabmal seiner Liebe,

Die er, beseligt, Beatrice nannte,

 

Verbannt hier, Bürger nur im Reich der Geister,

Wo in der Gottheit Schaun die Kraft dem Triebe

Nicht mehr erliegen muß, der große Dante.

 

 

            II. Petrarca

 

Ein wechselnd Glühn, ein unauflöslich Sehnen,

In Labyrinthen ein bezaubernd Irren,

Wo Seligkeit und Pein sich süß verwirren,

Ein waches Träumen, ein wahrhaftes Wähnen,

 

Läßt dein Gesang, Petrarca, bald im Tränen-

betauten Hain die zarten wünsche girren;

Aus Einsamkeit, wo Nachtgevögel schwirren;

Sich bald die tiefen Klagelaute dehnen.

 

In Frühlingslüften, die vorüber ziehen,

Fühlst du, im Lorbeerbaum erblickst du Lauren;

Sie nennt dein Mund, wie schüchtern er auch schweige.

 

Und deine heilge Daphne liebt im Fliehen:

Ach, schon verwandelt, beut mit sanftem Trauren

Sie dir zum Kranz die ewig grünen Zweige.

 

 

            III. Boccaccio

 

So wie der kluge Gärtner saubre Gänge

Und zierlich eingefaßte Beete ziehet,

Allein nicht hemmt, nur pflegt, was drinnen blühet,

Daß sich die Kraft der Pflanzen üppig dränge:

 

So ist Boccaccio, der Geschichten Menge

Als Blumenflor zu ordnen, wohl bemühet;

Rings schmücken, wie ein goldner Rahmen glühet,

Sie heitre Reden, Landlust, Spiel, Gesänge.

 

Betäubt des Gartens Duft die zarte jugend,

Verdammt die Spröde, wo sie gern errötet,

Und lernen neue Tücken selbst die Schlauen:

 

So wirft sich, glaubensvoll an ihre Tugend

Und Sittsamkeit, die nicht ein Hauch ertötet,

Der Dichter in den Schutz der edlen Frauen.

 

 

            IV. Ariosto

 

Mit Bradamantes Mut und Reiz und Feuer,

Auf schlankem Roß, das sie behende zügelt,

Vom bunten Helmbusch ihre Stirn beflügelt,

Zieht Ariostos Mus auf Abenteuer.

 

Sie siegt und fliegt von dannen, keinem treuer;

Der ebne Grund ist ihr zu eng umhügelt,

Im Luftrevier an ihren Schild gespiegelt

Erscheint die Welt ein schönes Ungeheuer.

 

Viel Wunder zwar natürlich drin geschehen:

Geschicktes Wagen gilt bei Lieb und Waffen;

Tappt Roland zu, so pflückt Medor verstohlen.

 

Die Schalkheit ist die mächigste der Feen,

Sie läßt die Phantasie nur toll sich gaffen,

Um aus dem Mond ihr den Verstand zu holen.

 

 

V. Torquato Tasso

 

Mit den Trompeten und des Kriegs Getösen

Heißt Tasso seine keusche Stimm’ erschallen,

Nicht bloß am Kampf ein ritterlich Gefallen,

Nein, heil’gen Muth in das Gemüth zu flößen.

 

Jerusalem, die Gottesstadt zu lösen,

Sieht man das Kreuz voran den Schaaren wallen,

Clorinda’s Arm, Armida’s Reize fallen,

Ismeno’s Zauber, und die Macht des Bösen.

 

Befreit ist nun der Andacht jene Stätte,

Wo seiner Leiden Wunder Christus übte,

Des Todes Leben, des Verderbens Tilger.

 

Entwaffnet knie’n die Helden im Gebete;

Glorreich vollbracht hast du dein groß Gelübde;

So ruh’ von deiner Fahrt nun, frommer Pilger.

 

 

VI. Guarini

 

Der Hoffnung Grün, die Blüthe süßer Stunden,

Der Unschuld Lilie und der Schönheit Rose,

Dann, wie Zypressen, dunkler Schickung Loose,

Hast du, Guarini, zart zum Kranz gewunden.

 

Schon sind im Tod die Liebenden verbunden,

Da finden sie der Wonne sich im Schooße,

Da lös’t sich auf in flüsterndes Gekose

Das Weh der Dornen, die ihr Herz verwunden.

 

Treu leitet Anmuth deinen treuen Hirten;

Ihm, wenn er lehrt die Wissenschaft der Küsse,

Glühn Wangen, zittern Lippen, wallen Busen.

 

Ein neu Arkadien schatten frische Myrthen:

Der Liebe huld’gen Wald, Thal, Berge, Flüße,

Und tauchend folgt Alpheus Arethufen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An die Irreführer

1767 -  1845                                        Nach dem Propheten Jesaias

 

Wo sind die Kanzler nun? So muß ich fragen:

Wo sind die Räte? Wo die Schriftgelehrten?

Sie, die mit eitler Weisheit sich bewehrten,

Und wußte keiner Tüchtiges zu sagen.

 

Das Volk, das euch vertraut, ist hart geschlagen.

Es sind die Künste, die sein Herz verkehrten,

Die Täuschereien, so den Zwiespalt mehrten,

Zu Schanden worden in des Schreckens Tagen.

 

Die ihr gebrütet Basiliskeneier,

Spinnwebe wirket, schwanger gingt mit Strohe,

Und Stoppeln ohne Halm ans licht geboren:

 

Helft nun! Die Riesenflügel spreizt der Geier,

Er facht im Lande der Verwüstung Lohe,

Und noch ruft Recht und Wahrheit tauben Ohren.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Christi Geburt

1767 -  1845

Mein süßes Kindlein, wüßt ich dein zu pflegen!

Ich bin noch matt, doch ruh am Busen warm;

die nacht ist dunkel, klein die Hütt und arm:

Sie mußten dich in diese Krippe legen.

 

So sprach Maria; draußen riefs dagegen:

Laßt uns hinein, wir wollen keinen Harm!

Uns wies hieher dier Engel froher Schwarm,

Verkündigend den neugebornen Segen.

 

Das dach empfängt sie, und ein göttlich Licht,

Wie um ihn her die frommen Hirten treten,

Entstrahlt des Heilands kleinem Angesicht.

 

Sie stehn, sie schaun, sie jubeln, preisen, beten;

Der Jungfrau mütterliche Seel erfüllt

Sich mit dem Gotte, den ihr Schoß enthüllt.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Allgemeines Los

1767 -  1845

Der fährt durchs Leben leicht auf leichter Barke,

Der läßt die Wimpel bunt und stattlich fliegen;

Der will bis in den Mond erobernd siegen,

Der sorgt, wie er sein klein Gebiet vermarke;

 

Der pflegt sich üppig mit des Landes Marke,

Der muß im Wetter nackt und hungrig liegen:

Doch alle gleich, gewiegt in gleichen Wiegen

Der großen Mutter, Schwache so wie Starke.

 

Und kaum gewürdigt werden eines Blickes,

Die da gewesen; und die sind, vergessen

Ihr Wandeln über hohlen Katakomben.

 

Es rollt die Erde wie das Rad des Glückes,

Mit ihr die Zeit, nie ruhend, ungemessen,

Und stündlich würgt der Tod sich Hekatomben.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die heiligen drei Könige

1767 -  1845

Aus fernen Landen kommen wir gezogen;

Nach Weisheit strebten wir seit langen Jahren,

Doch wandern wir in unsern Silberhaaren:

Ein schöner Stern ist vor uns aufgeflogen.

 

Nun steht er winkend still am Himmelsbogen:

Den Fürsten Juda’s muß dies Haus bewahren.

Was hast du, kleines Bethlehem, erfahren?

Dir ist der Herr vor allen hochgewogen.

 

Holdselig Kind, laß auf den Knie’n dich grüßen!

Womit die Sonne unsre Heimath segnet,

Das bringen wir, obschon geringe Gaben.

 

Gold, Weihrauch, Myrrhen liegen dir zu Füßen;

Die Weisheit ist uns sichtbarlich begegnet,

Willst du uns nur mit Einem Blicke laben

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die heilige Familie

1767 -  1845

Den Schöpfer, der die Erde neu gestaltet,

Gebenedeite! hast du ihr gegeben.

Du darfst dein Aug’ als Anvermählte heben

Zum Vater Aller, der im Himmel waltet.

 

Ein guter Greis, deß Treue nie veraltet,

Steht euer Pfleger väterlich daneben.

In deinem Sohne glüht ein heilig Leben,

Das spielend sich auf deinem Schooß entfaltet.

 

Mehr Lieb’, als Kinder zu einander tragen,

Sprichst des Genossen feurige Geberde,

Dem Jesus zarte Händ’ entgegenbreitet.

 

Der braungelockte Knabe scheint zu fragen:

Was thu’ ich, daß ich deiner würdig werde?

Gern sterb’ ich, wenn ich dir den Weg bereitet.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Magdalena

1767 -  1845

In unbewahrter Jugend frischer Blüthe

Riß Magdalenen ihre Schönheit hin;

Den edlen Geist berückt’ ein weicher Sinn,

Daß sie in ungeweihten Flammen glühte.

 

Sie hört den Heiland, und die ernste Güte,

Die aus ihm spricht, wird ihres Heils Beginn.

Zu seinen Füßen sinkt die Sünderin,

Mit tiefzerriss’nem, schmachtendem Gemüthe.

 

Entblößt vom Schmucke liebt sie nun, allein,

Den Arm gelehnt an blaßgeweinte Wangen,

Betrachtungen der Buße nachzuhangen.

 

Ja, fromme Huldin, flieh’ in Wüstenei’n,

Verbirg der Welt den Anblick deiner Schmerzen:

Denn sonst bethört noch deine Reu’ die Herzen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die Himmelfahrt der Jungfrau

1767 -  1845

Wie ist mir? Wonne blitzt von Gottes Throne,

Und hat mit süßen Banden mich umschlungen.

Mein Sehnen ist die Himmel durchgedrungen:

Ich seh’ den Vater bei dem theuren Sohne.

 

Hinan! Hinan! auf daß ich bei euch wohne,

Vom Zug der Liebe leicht emporgeschwungen!

Ihr Heil’gen, die ihr treu mit mir gerungen,

Glaubt, liebet, hofft, und einst empfaht die Krone. –

 

Und wie sie so auf Wolk’ und Duft entschwindet,

Umlächeln sie des Himmels jüngste Söhne;

Schon weichen unter ihrem Fuß die Sonnen.

 

Im Lichte wird ein neues Licht entzündet,

So strahlt die Braut, verklärt in reiner Schöne,

Und ruht nun liebend an der Liebe Bronnen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Friedrich Schlegel

1767 -  1845

Der Geist muß sich, um nicht der Welt zu fröhnen,

Zur Weltanschauung in sich selbst vertiefen,

Begreifend schafft er Kräfte, welche schliefen,

Die durch Bewußtsein sich als mündig krönen.

 

Da forschtest du, bis aus der Weisheit Tönen

Musik ward, bis dir aus der Seele Tiefen

Durch tausend Spiegel, die es läuternd prüfen,

Zurückgestrahlt erschien das Bild des Schönen.

 

Dich führt zur Dichtkunst Andacht brünst’ger Liebe,

Du willst zum Tempel dir das Leben bilden,

Wo Götterrecht der Freiheit lös’ und binde.

 

Und daß ohn’ Opfer der Altar nicht bliebe,

Entführtest du den himmlischen Gefilden

Die hohe Gluth der leuchtenden Lucinde.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Schelling

1767 -  1845

Wenn Vorwitz, nur die Ruh’ des weisen Alten

Zu stören, drang in Proteus’ düstre Grotte,

So wandelt’ er dem Frager sich zum Spotte

In tausend unvernehmliche Gestalten.

 

Doch wen Begeist’rung trieb, ihn festzuhalten,

Nicht zagend vor der Ungeheuer Rotte,

Dem wird er wiederum zum sin’gen Gotte

Und würdigt ihn, Geheimes zu entfalten.

 

Nicht zählst und miß’st du, Freund, die Hieroglyphen,

Die der Natur endlose Säul’ umreihen:

Sie reden dir, der Stoff wird zum Gedanken.

 

Bald werden, die in todter Weisheit schliefen,

Die Götter aufstehn und zu Priestern weihen

Die Forscher, die vom Quell der Dichtung tranken.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Nach dem Petrarca

1767 -  1845                                        P. I. Ball. I.

 

 

O Donna!  Wallt denn ewig dieser Schleyer

Um euer Haupt, im Sonnenlicht und Schatten?

Sonst lächelte mir diese Stirne freyer,

Und mit dem Lächeln schien sich Huld zu gatten.

 

Doch kaum verrieth mein Blick durch rasches Feuer

Geheimnisse, die längst gequält mich hatten,

(Ach! Donna, meinen Vorwitz büß’ ich theuer)

So mußt’ ein Flor dies Antlitz überschatten.

 

Erlöst die goldnen Haare doch vom Netze,

Und strahlen laßt entwölkt die holden Sonnen,

Die mich vorlängst mir selber abgewonnen!

 

Ich will ja gern von Stand an die Gesetze

Der Unschuld heilig halten; will nicht klagen,

Und meine Flamm’ im tiefsten Busen tragen.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Cervantes

1767 -  1845

 

I. Sein Leben

 

Castilischen Geschlechts; von feinen Sitten;

Treu der Religion und treu der Ehre;

Gelehrter, dann Soldat, hab’ ich im Heere

Don Juans bei Lepanto mitgestritten;

 

Den Arm verloren; Sklaverei erlitten;

Zum Fliehen schlau, frei bei des Druckes Schwere;

Erlöst; bemüht dann, daß mein Ruhm sich mehre:

So starb ich arm in der Bewundrer Mitten.

 

Die Welt war mir ein Spiel; mein Alter Jugend;

Ich mahlte was ich kannt’, und kannte Vieles,

Und die Erfindung stand mir zu Gebote.

 

Von süßer Liebe reimt’ ich, doch voll Tugend;

Erschuf Novellen, Galatee, Perfides,

Und den sinnreichen Ritter Don Quixote.

 

 

II. Galatea

 

Wie blauer Himmel glänzt auf Thales Grüne!

Ein heller Strom fleußt lieblich auf und nieder,

Von Berg und Wald verdeckt, erscheint er wieder,

Und spiegelt klar der Landschaft bunte Bühne.

 

Wer ist die Blonde dort mit sitt’ger Miene?

Wie tönen süß die Leid- und Liebes-Lieder!

Mit ihren Heerden nah’n die Hirtenbrüder,

Und jeder zeigt, wie er den Holden diene.

 

O Lust und Klang! o linde Ätherlüfte!

Im zarten Grün sinnreich bescheidner Liebe

So Himmlisches, doch Kindlichem Verwandtes!

 

Fremd wären uns die feinsten Blumendüfte,

Wenn Galathea nicht sie uns beschriebe,

Die göttliche des göttlichen Cervantes.

 

 

III. Das Trauerspiel Rumancia

 

Roms Heeren, die im langen Kampf erschlaffen,

Rumancia frei und kühn entgegenstunde.

Da naht des unabwendbar’n Schicksal’s Stunde,

Als Scipio neu der Krieger Zucht erschaffen.

 

Umbollwerkt nun, verschmachtend, helfen Waffen

Den Tapfern nicht; sie weih’n im Todesbunde

Sich, Weiber, Kinder, Einer Flamme Schlunde,

Um dem Triumph die Beute zu entraffen.

 

So triumphiert, erliegend noch, Hispania:

Stolz wandeln ihre Heldenblut-Verströmer

Zur Unterwelt auf würdigem Koturne;

 

Wen Lybyen nicht erzeugte, noch Hyrcania,

Der Weint, es weinten wohl die letzten Römer

Hier an des letzten Rumantiners Urne.

 

 

IV. Die Leiden des Persiles und der Sigismunda

 

Aus wüsten Meeren und beeisten Zonen

Zieht ein Verhängnis, wunderbar gewunden,

Ein sittsam Paar, dem keines gleich erfunden,

Hin zu des Südens heitern Regionen.

 

Gekrönt mit Schöheit statt ererbter Kronen,

Trennt ein Gelübd’ sie lang’, obschon verbunden,

Bis sie begrüßt in andachtvollen Stunden

Die Stadt, wo alle Glorien Christi thronen.

 

Gefahr und Lust lockt sie vom Ziel vergebens,

Und um sie spielt der Menschen weltlich Handeln

Wie bunte Muscheln an der Pilgerhaube.

 

Zur Wallfahrt macht die Wellenfahrt des Lebens,

Ein sichrer Stab den keine Zeiten wandeln.

Edler Muth, reine Lieb’ und heil’ger Glaube.

 

 

V. Don Quixote de la Mancha

 

Auf seinem Pegasus, dem magern Rappen

Reit’t in die Ritterpoesie Quichote,

Und hält anmutiglich, in Glück und Note,

Gespräche mit der Prosa seines Knappen.

 

Erst, wie sie blind nach Abenteuern tappen,

Trifft sie der Weltlauf mit gar harter Pfote;

Dann kommt der Scherz als huldigender Bote,

Und schüttelt schelmisch ihre Schellenkappen.

 

Und Liebe webt drein rührende Geschichten;

Verstand der Menschen Sitten, Tracht, Gebärden;

Es gaukelt Phantasie in farb’ger Glorie.

 

Ich schwör es, und Urgande selbst soll richten:

Was auch hinfüro mag ersonnen werden,

Dies bleibt die unvergleichlichste Historie!

 

 

VI Die Reise auf dem Parnaß

 

Aus Versen ganz gebaut, beflaggt, bekabelt,

Holt in den Krieg für des Geschmackes Ehre

Ein Schiff Cervantes sammt der Dichter Heere,

Zum Berg der Dichtung, den sie selbst gefabelt.

 

Ein andres, wo der Reimer, süß geschnabelt,

Herzugedrängt, versengt Neptun im Meere;

In Schläuch’ und Kürbse wandelt sie Cythere,

Daß nicht der Gott ihr hohles Volk ergabelt.

 

Bald sind besiegt, die den Parnaß verwirrten;

Man siehet neu die Poesie erglänzen,

So wie die Sonn’ aus schönen Morgenröten.

 

Die Heldentaten lohnt Apoll mit Kränzen

Und beut, um sie auf’s beste zu bewirthen,

Kastaliens Naß den hungrigen Poeten.